Die Berliner Modeszene ist noch nicht verloren
Wie eine interdisziplinäre Performance in der "Trauma Bar und Kino" das Konzept der Fashion Show auf den Kopf stellt – und zum Vorreiter einer neuen Bewegung wurde
Berlins Modeszene ist tot oder zumindest im Dauerschlaf. Man könnte die Industrie vielleicht mit Dornröschen vergleichen. Zwar gibt es statt Schlössern Betontürme und ein (queerer) Prinz kam bisher auch noch nicht auf seinem Schimmel vorbeigeritten – der komatöse Zustand ist aber derselbe. Seit Jahren wird darauf gewartet, dass das Märchen zur Realität wird: Der international zertifizierte Coolness-Faktor der Stadt würde auf die gesamte Branche überschwappen, Aushängeschilder wie GmbH, Namilia, Dumitrascu oder Ximon Lee würden endlich ihre Kollektionen in Berlin präsentieren und die Fashion Week wäre tatsächlich relevant. Wie schön wäre denn das. Noch schöner ist es allerdings, dass es endlich echte Hoffnung gibt.
Auch auf i-D: Ist Berlin eine gute Wahl für das Modestudium?
Diese Hoffnung trägt den Namen Trauma Bar und Kino. "Das Projekt entstand als Antwort auf die allgemeine Berliner Nachfrage nach einem inklusiven, zeitkonformen Raum, der einen klaren und authentischen Dialog zwischen Medien wie dem zeitgenössischen Tanz, Mode, Film, Videokunst und Clubkultur ermöglicht", erzählt Tanja Bombach, die Leiterin des internen Fashion-Departments. Vor ziemlich genau einem Jahr startete sie mit den Vorbereitungen für eine ganz besondere Performance – sie sollte die Darstellung von Mode erweitern, einen konzeptuellen Austausch fördern, Kreative vereinen und interdisziplinäre Verbindungen kreieren. "Heutzutage gibt es keine klaren Kategorien mehr, alles verschmilzt miteinander, Grenzen werden aufgelöst. Das ist das Gefühl unserer Zeit. Es entsteht eine Komplexität und Gleichzeitigkeit – wie in einer Collage –, wodurch neue Bedeutungen entstehen können. Das finde ich sehr spannend."

So stellte sie ein Team zusammen, das aus vier Nachwuchsdesigner*innen, dem renommierten Choreographen Michael-John Harper, acht Tänzer*innen und dem Sound-Designer Mikk Madisson besteht. Now You May Tell That I’ve Been Seen By You ist das Ergebnis ihrer monatelangen Reise, die am vergangenen Samstag endete. Fasziniert von Ovids Mythos Diana und Actaeon entwickelten sie eine Geschichte, die von Zensur, Missverständnissen und dem Fehler des zu schnellen Urteilens handelt – übersetzt in unsere schnelllebige, digitale Zeit.
In der emotionalen Performance zeigten sie, wie eine alternative Form der Modeinszenierung funktionieren kann: "Durch die Demokratisierung der Mode geht es nicht mehr darum, für ein ausgewähltes Publikum aus der Industrie zu präsentieren, sondern auch direkt für alle Modeinteressierte. Dabei eröffnen sich verschiedene Möglichkeiten, um sich an diese Veränderung anzupassen und sie zu nutzen. Es entsteht die Frage, ob die Struktur der traditionellen Modenschauen noch notwendig ist und sich das Publikum damit identifizieren kann", erklärt Bombach. "Ich denke es ist immer noch wichtig, Mode in der Realität zu sehen und nicht nur über einen Bildschirm, dabei muss sie aber einen Mehrwert auf der körperlichen, visuellen und emotionalen Ebene besitzen."

Mit dieser Denkweise stehen Tanja Bombach und ihr Team im Erbe großer Modemacher wie Alexander McQueen und Hussein Chalayan, die schon vor der omnipräsenten Digitalisierung das Konzept der etablierten Runway-Shows hinterfragten und mit einmaligen Inszenierungen revolutionierten. Ihnen folgten Designer wie Rick Owens, Thom Browne oder Stephane Ashpool, die es schafften, Synergien mit anderen Kunst-Genres zu generieren und neue Identifikationsmodelle zu eröffnen.
"Der Sinn von Modenschauen hat sich verändert. Früher waren sie für die Presse und Einkäufer, heute für jeden. Es reicht nicht mehr, schöne Models auf den Laufsteg zu schicken", meint Olga Khristolyubova, die ihre Kollektion in der Trauma Bar und Kino zeigte. "Heute versuchen viele Marken durch ihre Präsentationen aufzufallen, doch etablierte Brands bekommen eine viel größere Aufmerksamkeit. Junge Designer suchen dagegen ihren eigenen Weg, um ihre Vision auszudrücken."
Einen eigenen Weg finden. Dieses Credo sollte sich auch die Berliner Modeindustrie vergegenwärtigen, um final aus dem Dornröschen-Schlaf zu erwachen und den unzähligen Talenten die verdiente Unterstützung und passende Plattform zu bieten. Wir sind kein Paris, London oder New York – aber das müssen wir auch gar nicht. Berlin hat seinen ganz eigenen Charme, der langsam, aber sicher auch seinen Platz in der Mode findet. Der Prinz ist schon im Anmarsch.


Credits
Fotos: Olga Khristolyubova
Designer: Don Aretino, Olga Khristolyubova, Maria Miottke, Johanna Liebl